Germanwings-Absturz: Bestatter Carsten Strauß verhalf Eltern zu den Haarsträhnen ihrer Kinder (2025)

Bei dem Germanwings-Absturz 2015 starben 16 Kinder aus Haltern. Der Bestatter Carsten Strauß aus Dortmund half damals seiner Kollegin bei einer schwierigen Aufgabe.

Die Bilder von 18 Bestattungswagen, die von Düsseldorf nach Haltern fahren, sind für Carsten Strauß noch präsent. 16 weiße, zwei schwarze. Für 16 Kinder und zwei Lehrerinnen des Joseph-König-Gymnasiums. Zweieinhalb Monate, nachdem der Co-Pilot Andreas Lubitz die Germanwings-Maschine in den französischen Alpen bewusst in eine Felswand gesteuert und 150 Menschen in den Tod gerissen hatte, bringt die Autokolonne am 10. Juni 2015 die Halterner Austausch-Schüler zurück nach Hause. In Särgen.

Carsten Strauß gehört an diesem Tag zum Bestatter-Team, das am Flughafen in Düsseldorf die Überführung der deutschen Opfer dieser Katastrophe organisierte. Heute ist der 38-Jährige gemeinsam mit seinem Bruder Geschäftsführer des Bestattungshauses Strauß Rousseau in Dortmund. Schon damals arbeitete er im Familienbetrieb mit.

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Eine Lufthansa-Sondermaschine fliegt im Juni 2015 44 Särge mit deutschen Opfern nach Düsseldorf. Carsten Strauß gehört zu denen, die sie ausladen. Das Bild der nebeneinander aufgereihten Särge in dem Flughafen-Hangar wird er nicht vergessen. Später hilft er dabei, jedes einzelne Opfer dem beauftragten Bestattungsunternehmen zu übergeben, das die menschlichen Überreste in die jeweilige Heimatstadt überführt. „Wir fühlen bei jeder Bestattung mit den Hinterbliebenen mit“, sagt der zweifache Familienvater. „Aber das hier hatte eine andere Dimension.“

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Wer weiß, wie Schüler sich auf Ausflügen benehmen, kann sich vorstellen, wie die Stimmung in den Tagen und wohl auch noch Minuten vor dem Absturz in der Gruppe gewesen sein muss. Gelächter, Freude, bei dem einen oder der anderen vielleicht die ersten Schmetterlinge im Bauch. Als in der Kabine bemerkt wird, dass der Airbus A320 den Bergen immer näher kommt, ist es bereits zu spät. Wie unerträglich mögen diese Augenblicke für die Menschen an Bord gewesen sein? Carsten Strauß mag es sich nicht vorstellen.

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Für die Überführung der Spanisch-Schüler ist damals Birgit Mertens vom Bestattungshaus Haltern am See zuständig. Carsten Strauß kennt sie seit langem. Überhaupt, sagt sie heute, habe ihr Team eine große Unterstützung aus ihrer Branche bekommen. Die 18 baugleichen E-Klassen wurden von Bestattern aus ganz Deutschland zur Verfügung gestellt. Ein Auto stammt sogar aus Österreich. „Ich weiß heute gar nicht mehr, wie ich das ohne die Unterstützung meiner Kolleginnen und Kollegen geschafft hätte“, sagt Birgit Mertens.

Ein Foto der toten Kinder auf jedem Sarg

Die Mercedes-Limousinen, in denen die Särge transportiert werden sollen, bilden damals einen Halbkreis, als der Bus aus Haltern mit den Eltern, Geschwistern und Familienangehörigen das Flughafengelände erreicht. Für die Hinterbliebenen ist es seit dem Abschied kurz vor dem Flug der Schüler-Gruppe nach Spanien das erste Zusammentreffen mit ihren toten Kindern. Und die Autos mit den Schülern stehen nicht in loser Reihenfolge, sondern sind nach Freundschaftsgruppen angeordnet. „Wir haben mit den Eltern zuvor besprochen, welche Kinder befreundet waren, und haben die Autos dementsprechend zusammengestellt.“

Birgit Mertens hat die Särge weiß verdeckt. Oben darauf steht ein Bild des jeweiligen Kindes, daneben liegt eine weiße Rose.

Seelsorger helfen den Eltern bei diesem schweren Gang zur geöffneten Heckklappe der Bestattungswagen. Tränen, herzzerreißende Szenen. Die Särge bleiben verschlossen. „Jeder kann sich vorstellen, warum“, sagt Carsten Strauß.

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Eltern wünschen sich eine Erinnerung an ihre Kinder

Und doch hat der damals 28-Jährige noch eine schwere Aufgabe vor sich. Birgit Mertens, die nicht nur die Halterner Opfer überführt, sondern auch für 13 von ihnen die Bestattungszeremonie organisiert, bittet ihren Dortmunder Kollegen kurz nach der Überführung der sterblichen Überreste um Hilfe. Es gab die nachvollziehbare Bitte einiger Eltern, als Andenken an ihre Kinder eine Haarsträhne zu bekommen. „Der Wunsch war sicher, etwas von den Kindern behalten zu können. Doch das war leider nicht in allen Fällen möglich“, erinnert sich Carsten Strauß. Zu stark seien die Auswirkungen der Kräfte gewesen, die entstanden, als das Flugzeug mit 800 Stundenkilometern ungebremst in die Felswand schlug.

Immerhin drei Familien kann Birgit Mertens doch noch Haarsträhnen überreichen.

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An Bord der Maschine sind damals auch drei Dortmunder. Der Lokalpolitiker und Künstler Manfred Jockheck mit seiner Frau Sabine. Beide trafen sich in Barcelona mit einer internationalen Künstlervereinigung. Über das dritte Dortmunder Opfer, ein Flugbegleiter, ist nur wenig bekannt. Die Familie lebt zurückgezogen und möchte über ihren verlorenen Sohn nicht sprechen. Zu groß ist der Schmerz auch zehn Jahre später noch. Carsten Strauß kennt die Geschichte des jungen Mannes, denn sein Unternehmen hat ihn von Düsseldorf aus nach Dortmund überführt und in seiner Heimatstadt bestattet. Mit Rücksicht auf die Familie schweigt auch Carsten Strauß zu den Einzelheiten.

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„Die schwersten Stunden meines Berufslebens“

Die Bilder der weißen Trauerkolonne, die von Düsseldorf nach Haltern fährt, gehen damals um die Welt. Sie sind auf allen Kontinenten das Sinnbild für den Schmerz und die Trauer, die der Co-Pilot Andreas Lubitz am 24. März 2015 über insgesamt 150 Familien gebracht hatte.

Viele der Halterner Kinder oder zumindest deren Familien kannte Birgit Mertens persönlich. Wie es in Kleinstädten üblich ist. „Auch für mich waren es in meinem Berufsleben die schwersten Stunden“, sagt sie. Die Katastrophe lässt sie nicht los. Am Jahrestag wird sie deshalb auf jedes einzelne Grab der Halterner Opfer Blumen legen.

Weiterer schwerer Einsatz im Erdbebengebiet

Auch für Carsten Strauß war sein Einsatz in Düsseldorf und Haltern nicht nur ein Job. Für ihn war es selbstverständlich, wenigstens etwas für die Hinterbliebenen der Germanwings-Katastrophe tun zu können. So wie auch 2023, als er mit einem Helferteam in die türkisch-syrische Grenzregion reiste, um nach dem gewaltigen Erdbeben dort Tote zu bergen und zu identifizieren. „Das sind schwierige Aufgaben, die einem nur schwer aus dem Kopf gehen. Aber es braucht Menschen, die bei Katastrophen zur Stelle sind“, sagt er bescheiden. Es braucht Menschen wie Carsten Strauß und Birgit Mertens.

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Author: Horacio Brakus JD

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